Wajishlach – um unser Judentum kämpfen

Zwischen Anfeindung und Assimilation

3 Min.

ORD Redaktion

gepostet auf 03.12.19

„Übrig blieb Jakow allein, da rang jemand mit ihm, bis der Morgen heraufzog. Er sah, dass er an ihm nichts vermochte, so griff er an den Ballen seiner Hüfte; da wich Jakows Hüftballen, indem er mit ihm rang.“ (32:25-26)

Warum wird im zweiten Vers noch einmal gesagt, dass der Mann mit Jakow gerungen hat? Ksaw Sofer (Rav Schmuel Benjamin Schreiber, 1815-1871) erklärt, dass es zwei Interpretationen des Wortes יֵּאָבֵק – und er rang – gibt. Die erste kommt vom Wort אבק – Staub – und bedeutet hier „und er war voller Staub“, denn als sie miteinander kämpften, wirbelten die beiden Staub auf. Die zweite Interpretation beruht auf dem aramäischen Ausdruck דַּאֲבִיקוּ – sich anschließen, was bedeutet, dass er sich verfangen hat.

 

Ksaw Sofer legt dar, dass es sich bei den beiden Interpretationen nicht nur um linguistische Unterschiede handelt, sondern sie auf zwei verschiedene Arten von Auseinandersetzung hindeuten. Im ersten Fall handelt es sich um zwei Feinde, die einander im Kampf bezwingen wollen. Im zweiten Fall jedoch kann man eine Verstrickung von Armen unter Freunden sehen, die einander umarmen. Ksaw Sofer schlägt daher vor, dass beide Interpretationen hier Anwendung finden und die Kämpfe des jüdischen Volkes vorwegnimmt, die es seitdem fechten muss, um seinen Glauben und seine Identität zu bewahren. Er erklärt, dass im ersten Fall die Nationen das jüdische Volk beherrschen und es von seinem Glauben abbringen wollen, sei es durch brutale Gewalt oder durch Verabschiedung von Gesetzen, die jüdisches Leben unmöglich machen. Diesen Ansatz haben wir schon oft gesehen, ob in der Purim-Geschichte, der Inquisition oder in neuester Zeit. Oft zeigt sich allerdings, dass unter solch harschen Bedingungen, Juden noch mehr auf ihrer Einzigartigkeit bestehen und sich von den anderen isolieren.

 

וַיַּרְא כִּי לֹא יָכֹל לוֹ – als er sah, dass er an ihm nichts vermochte – leitet oft den zweiten Ansatz ein. Wenn die Nationen sehen, dass sie Am Jisrael nicht besiegen können, gehen sie oft den Weg der Umarmung im Geiste von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Dadurch können Juden Teil der Gesellschaft werden und alle einheimischen Verhaltensweisen und Ideen adaptieren. Diese Taktik, sagt der Ksaw Sofer, hat ausnehmenden Erfolg, weil ein Jude oft seine althergebrachten Werte und Traditionen auf dem Altar der Akzeptanz geopfert hat. In den Worten וַיִּגַּע בְּכַף־יְרֵכוֹ וַתֵּקַע כַּף־יֶרֶךְ יַעֲקֹב – so griff er an den Ballen seiner Hüfte; da wich Jakows Hüftballen – findet diese Taktik ihren Widerhall. Die Nationen treffen das jüdische Volk so, dass der feste Stand, mit dem es seine Identität bisher verbunden hatte, ins Wanken gerät. Wie geht das? Durch בְּהֵאָבְקוֹ עִמּוֹ – die Umarmung aus Freundschaft und Brüderlichkeit.

 

Offensichtlich spiegelt sich in den Erklärungen des Ksaw Sofer die politische und gesellschaftliche Lage des Judentums in der Mitte des 19. Jahrhunderts wider. Schon sein Vater, Chasam Sofer (Rav Mosche Schreiber, 1762-1939) hatte die ersten Winde der Aufklärung in Frankfurt verspürt und als führende Tora-Persönlichkeit in Pressburg gegen jegliche Anpassung an die neuen Zeiten gewettert. Bis heute sehen wir allerdings an verschiedenen Orten und zur gleichen Zeit, dass beide Ansätze vertreten sind. Wir nehmen es heutzutage als selbstverständlich hin, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben und frei zu entscheiden, wie wir leben wollen. Zunehmend müssen wir allerdings, vor allem in Europa, feststellen, dass uns unsere Freiheiten nur zugestanden wurden und immer mehr von anderen in Frage gestellt werden. Debatten um Brit Mila und Schechita (Schlachten nach jüdischem Gesetz) werden immer heftiger geführt und die Opposition dagegen wurde sogar in manchem Land schon gesetzlich verankert. Jeder von uns muss selbst entscheiden, ob er nicht mehr hinken, sondern sicher auf beiden Beinen stehen will.

 

 

Dieser Artikel ist der ORD Website entnommen.

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