Beten in tiefster Not

Zahlreiche Bibelverse werden im Talmud diskutiert. Oft geht es um die Klärung religionsgesetzlicher Fragen.

3 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 17.03.21

Zahlreiche Bibelverse werden im Talmud diskutiert. Oft geht es um die Klärung religionsgesetzlicher Fragen; machmal erläutert der talmudische Text erzählerische Passagen. So erfahren wir im Traktat „Berachot“ (10a und b) wichtige zusätzliche Details über den kurzen Dialog zwischen König Chiskijahu, der von 726 bis 698 vor der üblichen Zeitrechnung in Jehuda herrschte, und dem großen Propheten Jeschajahu, der sowohl im Zweiten Buch der Könige (Kap. 20) als auch im Buch Jeschajahu (Kap. 38) protokolliert ist.

 

Beim Propheten heisst es: „In jener Zeit erkrankte Chiskijahu zum Sterben; da kam zu ihm Jeschajahu Ben Amoz, der Prophet, und sprach zu ihm. So spricht der Ewige: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben, und nicht leben.“ (Kap. 38,1).

 

Der Talmud kommentiert: „Was heisst: denn du wirst sterben und nicht leben? – sterben wirst du, in dieser Welt, und nicht leben, in der zukünftigen Welt. Chiskijahu sprach zu ihm: Weshalb dies alles? Jeschajahu erwiderte: Weil du nicht die Fortpflanzung gepflegt hast. Dieser sprach: Weil ich im heiligen Geist geschaut, dass mir ungeratene Kinder entstammen werden. Jeschajahu entgegnete: Was gehen dich die Geheimnisse des Allbarmherzigen an? Du solltest tun, was dir geboten, und der Heilige, gepriesen sei er, mag tun, was ihm gefällt. Chiskijahu sprach: So gib mir deine Tochter, vielleicht bewirken meine und deine Verdienste zusammen, dass mir geratene Kinder entstammen. Jeschajahu erwiderte: das Unheil ist bereits über dich verhängt worden.“

 

Chiskijahu gab die Hoffnung nicht auf und sprach: „ Sohn von Amoz, hör mit deiner Weissagung auf und geh weg! Folgendes ist mir aus dem Hause meines Ahnherren überliefert: Selbst wenn ein scharfes Schwert auf dem Halse des Menschen ruht, verzweifle er an der Barmherzigkeit nicht.“  Welcher Ahnherr des Königs ist gemeint? Raschi erklärt, Chiskijahu habe sich auf König David bezogen, der einen Engel mit einem gezückten Schwert erblickte und in dieser Situation doch noch um Barmherzigkeit bat (2 Samuel, Kap. 24).

 

Im Talmud wird Chiskijahus Argument durch mehrere Gelehrte bekräftigt: „Auch wurde gelehrt: Rabbi Jochanan und Rabbi Elieser sagten beide: Selbst wenn ein scharfes Schwert schon auf dem Halse des Menschen ruht, verzweifle er an der Barmherzigkeit nicht, denn es heisst: ´wenn er mich auch tötet, hoffe ich dennoch auf ihn`(Hiob 13,15). Rabbi Chana sagte: Selbst wenn der Traumengel zu einem Menschen sagt, dass er morgen sterben werde, verzweifle er nicht an der Barmherzigkeit, denn es heisst: ´Wo viele Träume, da Eitelkeit und viele Worte; vielmehr fürchte Gott` (Kohlelet 5,6).“

 

Was tat der um sein Leben besorgte König, nachdem er den Propheten zum Verlassen des Raumes aufgefordert hatte? „Chiskijahu kehrte sein Antlitz zur Wand und betete zum Herrn. Er sprach: Ewiger, gedenke doch wie ich vor dir gewandelt in Wahrheit und mit ganzem Herzen, und wie ich getan, was gut ist in deinen Augen! Und Chiskijahu weinte laut“ (38,2 und 3).

 

Chiskijahus Gebet wurde sofort erhört. Jeschajahu wurde von Gott angewiesen: „Geh und sprich zu Chiskijahu: So spricht der Ewige, der Gott Davids deines Vaters: ich habe dein Gebet gehört, ich habe deine Tränen gesehen. Siehe, ich füge zu deinen Lebenstagen 15 Jahre hinzu“ (38, 5). Ein Midrasch merkt an, es sei Jeschajahu nicht leicht gefallen, seine erste Prophezeiung zurückzunehmen und Chiskijahu die frohe Botschaft zu verkünden, sein in der Not gesprochenes Gebet sei von Gott erhört worden.

 

Eine alte Tradition, die in einigen Handschriften des Talmuds  sowie im Werk „Ejn Jakov“ erhalten ist, weiss zu berichten, dass Jeschajahu schliesslich  der Bitte des Königs entsprach und ihm seine Tochter zur Frau gab. Dieser Ehe entstammte Menasche, der seinem Vater im Alter von 12 Jahren auf dem Throne folgte. König Chiskijahu hatte erklärt, er befürchte, ihm werden ungeratene Kinder entstammen. In diesem Punkt sollte er Recht behalten: König Menasche, der von 698 bis 642 vor der üblichen Zeitrechnung regierte, war in den Augen unserer Weisen ein großer Übeltäter. Nach einer talmudischen Überlieferung (Jewamot 49b) hat Menasche den Propheten Jeschajahu, seinen Großvater, umgebracht.

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